Der verlorene Stern 

Es war Heiligabend in Verden, und die Stadt war in ein schimmerndes Winterwunderland verwandelt. Die Fachwerkhäuser leuchteten im warmen Licht der Weihnachtsdekoration, und der Duft von Tannenzweigen, Lebkuchen und Glühwein erfüllte die klare, kalte Luft. Der große Weihnachtsbaum auf dem Rathausplatz funkelte majestätisch, doch etwas Entscheidendes fehlte: der Stern an seiner Spitze.
In der Nacht zuvor war der Stern, der seit Jahrzehnten jedes Weihnachten den Baum krönte, während eines plötzlichen Sturms verschwunden. Die ganze Stadt war in Aufruhr. Der Stern war ein Symbol für die Gemeinschaft und die Tradition Verdens, und ohne ihn fühlte sich das Fest unvollständig an.
Emma, eine junge Frau, die erst kürzlich nach Verden gezogen war, hatte von der Geschichte des Sterns gehört. Sie arbeitete als Lehrerin in der Grundschule und liebte Weihnachten. Doch dieses Jahr hatte sie niemanden, mit dem sie feiern konnte. Ihre Familie lebte weit weg, und ihre Freunde waren alle verreist. Trotzdem entschied sie sich, der Sache mit dem verlorenen Stern nachzugehen.
Mit einer warmen Decke, einer Thermoskanne voll Tee und ihrer treuen Hündin Luna machte sie sich auf den Weg durch die verschneiten Straßen Verdens. Sie wollte den Stern finden – nicht nur für die Stadt, sondern auch, um sich selbst zu beweisen, dass sie Teil dieser Gemeinschaft werden konnte.
Ihre Suche führte sie zum Stadtwald, wo der Wind in der Nacht am stärksten geweht hatte. Die Bäume waren schwer mit Schnee beladen, und der Mond warf ein silbernes Licht auf die Wege. Emma rief nach dem Stern, als könne er sie hören. „Hallo? Bist du irgendwo hier?“ Sie lachte über sich selbst.
Plötzlich begann Luna aufgeregt zu bellen. Emma folgte ihrer Hündin durch das knirschende Unterholz, bis sie zu einer Lichtung kam. Dort, im glitzernden Schnee, lag der goldene Stern – halb unter einem gefallenen Ast begraben, aber unversehrt.
Doch sie war nicht allein. Ein Mann stand dort, ebenfalls mit einem Hund an seiner Seite. Es war Nils, ein Bankmitarbeiter aus Verden, den Emma bisher nur flüchtig auf dem Weihnachtsmarkt gesehen hatte. Er sah überrascht aus, als er Emma entdeckte.
„Du suchst auch den Stern?“ fragte er, während sein Hund freundlich mit Luna schnüffelte.
Emma nickte. „Ja, aber es sieht aus, als hättest du ihn schon gefunden.“
Nils schüttelte den Kopf und lächelte. „Ich denke, wir haben ihn zusammen gefunden. Komm, wir bringen ihn zurück in die Stadt.“
Gemeinsam trugen sie den schweren Stern zurück nach Verden. Die Glocken des Doms begannen gerade, die Weihnachtsmesse einzuläuten, als sie den Stern auf dem Rathausplatz ablieferten. Die Menschen jubelten, und es dauerte nicht lange, bis der Stern wieder auf der Spitze des Baumes strahlte.
Nils und Emma standen Seite an Seite und betrachteten den Baum. „Manchmal“, sagte Nils, „führt ein kleiner Verlust dazu, dass man etwas Neues findet.“
Emma lächelte und spürte zum ersten Mal seit Langem, dass sie genau am richtigen Ort war – in Verden, unter dem strahlenden Weihnachtsstern.