In einer der Kleinstadt, Verden an der Aller, kreuzen sich die Wege zweier Menschen, die vom Leben bereits die ein oder andere harte Lektion gelernt haben. Er und sie – beide Mitte 40, beide geschieden und jeder mit einem eigenen Päckchen an Erfahrungen und Erinnerungen. Ihre erste Begegnung geschieht auf einer Dating-Plattform, und obwohl sie nicht mehr die Jüngsten sind und das Leben schon kompliziert genug erscheint, wagen sie es, einen Neuanfang zu versuchen.
Thomas, lebt in seinem Traumhaus, das er eigenhändig ausgebaut hat. Ein Ort, der einst von Liebe und Hoffnung erfüllt war, jetzt jedoch von Einsamkeit und Schmerz. Seine beiden Söhne – der ältere, den er schon seit Monaten nicht mehr gesehen hat, und der jüngere, den er nur selten in die Arme schließen darf – sind Teil eines langen und zermürbenden Rosenkriegs. Seine Ex-Frau hat ihm das Leben zur Hölle gemacht, und ihre Streitereien ziehen sich durch unzählige Gerichtsverhandlungen. Thomas ist zermürbt, seine Gedanken kreisen ständig um die Ungerechtigkeit der Situation, und es fällt ihm schwer, Freude an den kleinen Dingen zu finden.
Und dann ist da Lisa. Sie hat sich nach ihrer Scheidung ein neues, erfülltes Leben aufgebaut. Mit ihrer erwachsenen Tochter versteht sie sich prächtig. Lisa hat einen erfüllenden Job, eine schicke Wohnung und ein schickes Auto. Ihr Leben scheint auf den ersten Blick perfekt – im Gegensatz zu dem Chaos, in dem Thomas sich befindet. Trotzdem zieht sie seine Geschichte, seine traurigen Augen und sein verschmitztes Lächeln in ihren Bann.
Schon beim ersten Treffen auf der App spüren sie eine gewisse Verbundenheit. Ein kleines, unauffälliges "Hey" wird zum Beginn einer intensiven Kommunikation. Lisa ist gespannt, welch realer Mann sich hinter dem anmutigen Profilbild verbirgt. Bald folgt das erste echte Treffen in einem kleinen Café in Verden. Es läuft gut, fast zu gut, denn sie verstehen sich blendend. Gemeinsam entdecken sie, dass sie viele Interessen teilen: das Radfahren, Campen, Spaziergänge durch die Natur, gemütliche Abende mit tiefgründigen Gesprächen. Wenn sie sich nicht sehen, schreibt Thomas Lisa stündlich, lässt sie an seinem Leben teilhaben und schmiedet gemeinsame Pläne. Lisa freut sich jedes mal mit einem Lächeln, wenn eine neue Textnachricht von Thomas auf ihrer Smartwatch eintrifft. Sie treffen sich in ihrer Freizeit immer häufiger, fast täglich.
Die gemeinsamen Aktivitäten tun Thomas gut. Zum ersten Mal seit Langem fühlt er sich etwas freier, kann für kurze Momente die Last, die ihn drückt, vergessen. Und Lisa? Sie genießt seine Gegenwart, seine ruhige Art, die ihn zu einem Felsen in ihrer aufgewühlten Welt macht. Sie ist fasziniert von seinen schönen Haaren, seiner weichen Stimme und seinem sportlich schlanken Körper.
Doch so vertraut und harmonisch ihre Treffen auch sind, der letzte Funke will einfach nicht überspringen. Bei jeder Verabschiedung gibt es ein inniges Drücken, ein längeres Umarmen, das immer ein wenig von Verlangen und gleichzeitig von Zurückhaltung zeugt. Aber zu mehr kommt es nicht. Thomas wirkt wie ein Mann, der seine Gefühle in einem ständigen Kampf unterdrückt – und Lisa kann es nicht mehr ignorieren.
Sie hat sich längst in den Mann mit den lieben Augen mit den kleinen Lachfältchen verliebt. Ihre Gefühle sind tief, doch die Ungewissheit zermürbt sie. Immer wieder fragt sie sich, was in Thomas’ Kopf vorgeht. Warum kann er den letzten Schritt nicht gehen? Liegt es an seiner Vergangenheit, an seinen Ängsten, oder will er schlichtweg nicht?
Eines Abends, nach einem weiteren dieser so vertrauten, aber dennoch distanzierten Treffen, hält sie es nicht mehr aus. Thomas sagte ein gemeinsames Treffen ab, um sich zuhause seinen Schlachtplänen zu widmen. Lisa fährt alleine Fahrrad, genießt den Sonnenuntergang und die Wärme des Spätsommers und entscheidet sich, die Reißleine zu ziehen. „Können wir telefonieren?“, schreibt sie. Thomas ahnt nicht, dass etwas nicht stimmt, und willigt ein. Wenige Minuten später nimmt er den Anruf freudig entgegen. Lisa, die zum ersten Mal seine warmherzige Stimme am Telefon hört, meldet sich mit zittriger, fast schon weinerlicher Stimme „Hallo Thomas?“ Thomas antwortet und freut sich Lisa's vertraute Stimme zu hören. Er gesteht ihr, dass er drei Stunden lang alle Unterlagen durchgeackert habe...
Lisa holt tief Luft und beginnt mit einem Geständnis, das ihr Herz zum Rasen bringt: „Ich habe mich in dich verliebt, Thomas. Ich halte es nicht mehr aus, so weiterzumachen. Du bist so nah und doch so fern, und es macht mich fertig. Ich möchte den Kontakt abbrechen, weil ich nicht mehr in dieser Ungewissheit leben kann. Es tut weh zu wissen, dass du meine Gefühle entweder nicht erwidern kannst oder nicht willst.“
Am anderen Ende der Leitung herrscht Stille. Eine Stille, die sich wie ein Messer in ihr Herz bohrt. Thomas’ Atem geht hörbar schwerer, und sie hört, wie er mehrmals ansetzt, etwas zu sagen, aber die Worte scheinen ihm zu fehlen. Schließlich seufzt er tief und sagt mit brüchiger Stimme: „Es tut mir leid, Lisa. Du bist eine wunderbare Frau, und ich schätze unsere gemeinsame Zeit sehr. Aber… ich weiß nicht, ob ich im Moment zu mehr fähig bin. Meine Vergangenheit, der ganze Schmerz – es ist, als hätte ich mich in mir selbst verloren.“
„Ich verstehe dich sehr gut“, flüstert Lisa, obwohl es ihr Herz zerreißt. „Aber ich kann so nicht weitermachen. Es ist besser, wenn wir uns verabschieden.“
„Ich verstehe“, wiederholt er. „Ich wünsche dir alles Gute, Lisa. Du verdienst jemanden, der dir all das geben kann, was ich im Moment nicht schaffe.“
Die Tränen laufen ihr still über das Gesicht, während sie sich voneinander verabschieden. Sie legen auf, und eine schwere Stille breitet sich in Lisas Wohnung aus. Sie weiß, dass sie das Richtige getan hat, aber der Schmerz bleibt dennoch.
Nachdem Lisa aufgelegt hat, bleibt Thomas allein in seinem großen, leeren Haus zurück. Ihre Worte hallen noch in seinem Kopf wider, und sein Herz ist schwer. Tief in seinem Inneren weiß er, dass Lisa recht hat. Doch sein Schmerz, seine Wut auf die Vergangenheit, haben ihn blind gemacht für das, was wirklich zählt.
Thomas seufzt, starrt ins Leere und vergräbt sein Gesicht in den Händen. Liebe, die ihm so nah war, hat er nicht gesehen – oder vielleicht nicht sehen wollen. Der Krieg mit seiner Ex-Frau hat sein Herz in einen kalten Stein verwandelt. Er merkt nicht, dass er durch den anhaltenden Kampf nur sich selbst und die, die er liebt, immer weiter verliert.
Es ist, als ob er vergessen hat, dass er den Weg zu seinen beiden Jungen nur dann zurückfinden kann, wenn er den Krieg beendet und den Groll loslässt. Dass er nur dann den Frieden und die Liebe spüren kann, die Lisa ihm schenken wollte. Doch in diesem Moment ist Thomas noch gefangen in seinem eigenen Schmerz. Und so bleibt ihm die Erkenntnis verborgen, dass Frieden nicht im Kampf, sondern in der Versöhnung liegt.
In Verden an der Aller wird eine leise Melancholie in die Nacht hinausgetragen, während zwei Menschen, die so viele Gemeinsamkeiten haben, sich wieder aus den Augen verlieren.