Die Hüterin der Aller

In Verden an der Aller, einer Stadt mit alten Fachwerkhäusern und kopfsteingepflasterten Gassen, lag ein Geheimnis verborgen, das nur wenige kannten. Die Aller, der ruhige Fluss, der sich durch die Stadt schlängelte, war mehr als ein Gewässer. Unter seiner Oberfläche lebten Wesen, die seit Jahrhunderten die Geschicke der Stadt bewachten – die Wassergeister von Verden.
Es war eine stille Vollmondnacht, als die junge Alina durch die verlassenen Straßen von Verden lief. Sie hatte den letzten Bus verpasst und musste zu Fuß zurück in ihre Wohnung am Fluss. Plötzlich bemerkte sie ein seltsames Leuchten, das von der Aller ausging. Sie blieb stehen, das Herz schlug ihr bis zum Hals. Alina hatte die Geschichten über die Wassergeister gehört, aber immer für Märchen gehalten. Doch nun schien es, als würde der Fluss selbst sie rufen.
Neugierig trat sie näher ans Ufer, und da sah sie es: Eine durchscheinende Gestalt, die aus dem Wasser emporstieg. Es war ein Wesen von atemberaubender Schönheit, mit Haaren, die wie Wellen im Mondlicht glitzerten, und Augen, so tief wie das Meer. „Alina“, sagte die Gestalt, ihre Stimme klang wie das Flüstern des Wassers, „es ist an der Zeit, dass du die Wahrheit erfährst.“
Alina spürte, wie ihr Mund trocken wurde, doch sie konnte die Augen nicht abwenden. „Wer… was bist du?“ flüsterte sie.
„Mein Name ist Nerea, und ich bin eine der Hüterinnen der Aller. Seit Jahrhunderten bewachen wir den Fluss und die Stadt. Doch eine dunkle Gefahr zieht auf, und wir brauchen deine Hilfe.“
Verwirrt und überwältigt starrte Alina die Wassergeisterin an. „Warum ausgerechnet ich? Ich bin nur ein ganz normales Mädchen.“
Nerea lächelte geheimnisvoll. „Du trägst das Blut der Alten in dir, Alina. Deine Vorfahren waren einst Hüter des Wassers, und ihre Kräfte schlummern noch immer in dir.“

Bevor Alina etwas erwidern konnte, nahm Nerea ihre Hand und zog sie sanft ins Wasser. Statt zu sinken, schien sie über die Oberfläche zu gleiten, als wäre das Wasser fest wie Stein. Sie fand sich plötzlich in einer verborgenen Welt unter der Aller wieder, einer Welt voller magischer Lichter und lebender Pflanzen, die sich nach ihr ausstreckten wie nach einer alten Freundin.

„Hier ist das Herz unserer Welt“, sagte Nerea und deutete auf eine schimmernde Kuppel im Zentrum des Wassergartens. „Doch ein uralter Dämon, der in der Tiefe des Flusses gefangen ist, will dieses Herz zerstören. Sollte er frei kommen, würde nicht nur die Aller, sondern ganz Verden ins Chaos stürzen.“
Alina zögerte, doch sie spürte eine seltsame Kraft in sich aufsteigen. Sie erinnerte sich an das alte Amulett ihrer Großmutter, das sie immer um den Hals trug. Es schien nun im Einklang mit dem Wasser zu pulsieren. „Was muss ich tun?“ fragte sie mit neuer Entschlossenheit.

Nerea erklärte ihr, dass nur eine Verbindung zwischen den Hütergeistern und einem Menschen den Dämon aufhalten konnte. Gemeinsam, Hand in Hand mit Nerea und im Schutz der uralten Magie, stellte sich Alina dem Schattenwesen. Ihre Kräfte vereinten sich in einem leuchtenden Strahl, der den Dämon zurück in die Tiefe des Flusses verbannte, wo er in einen endlosen Schlaf fiel.

Als der Morgen dämmerte, fand sich Alina am Ufer der Aller wieder, das Amulett kühl in ihrer Hand. Die Geisterwelt war verschwunden, doch das Flüstern des Wassers trug ein Versprechen: Solange die Hüter der Aller und ihre Verbündeten lebten, würde Verden immer beschützt sein.


Alina wusste nun, dass sie Teil eines großen Geheimnisses war – und dass die Magie der Aller sie immer rufen würde. 


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